Vor meiner Schwangerschaft war ich eine ambitionierte Läuferin, und ich hatte oft Rückenschmerzen. Damals dachte ich, das läge einfach an meinem Training oder vielleicht an einer schwachen Körpermitte. Im Nachhinein ist mir aber klar geworden, dass diese Beschwerden auch durch einen schwachen Beckenboden verursacht worden sein könnten – ein Zusammenhang, den viele unterschätzen.
Viele Läuferinnen konzentrieren sich auf Ausdauer, Geschwindigkeit und die Kraft ihrer Beine. Der Beckenboden wird oft übersehen. Dabei spielt er eine zentrale Rolle für die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden. Ein starker Beckenboden stützt den Körper, stabilisiert die Körpermitte und hilft dabei, Verletzungen zu vermeiden.
Beckenbodenprobleme betreffen Frauen in jeder Lebensphase!
Der Gedanke, dass der Beckenboden nur ein Thema für Mütter oder ältere Frauen sei, ist weit verbreitet, aber leider falsch. Der Beckenboden spielt bei der Stabilität des Rumpfes, der Kontrolle über Blase und Darm und der Vorbeugung von Schmerzen eine zentrale Rolle – und das für jede Altersgruppe und unabhängig von der Lebensphase!
Eine Studie des Deutschen Ärzteblatts zeigt, dass etwa 30 % der Frauen im Laufe ihres Lebens an Beckenbodenschwäche leiden, oft in Kombination mit Symptomen wie Harninkontinenz (Deutsches Ärzteblatt, 2020). Ein schwacher oder auch verspannter Beckenboden kann das Risiko für Beschwerden im Rücken- und Hüftbereich sowie für Inkontinenz erhöhen. Ein gut trainierter und flexibler Beckenboden kann diese Risiken deutlich reduzieren.
Daran erkennst du, dass dein Beckenboden nicht so funktioniert, wie er soll
Typische Anzeichen eines geschwächten Beckenbodens sind vielfältig und unspezifisch. Ein klassisches Symptom ist die Harn - oder Stuhlinkontinenz.
Weitere Symptome, die auf einen dysfunktionalen Beckenboden hinweisen können, sind:
Chronische Verstopfung oder Schwierigkeiten beim Stuhlgang.
Schmerzen in der Hüfte oder im unteren Rücken.
Ein Druck- oder Schweregefühl im Unterleib, insbesondere nach längeren Aktivitäten.
Häufiger Harndrang oder Schwierigkeiten, die Blase vollständig zu entleeren.
Verminderte Empfindsamkeit oder Probleme mit der sexuellen Funktion.
Warum ist ein starker Beckenboden für Läuferinnen wichtig?
Der Beckenboden ist eine Gruppe von Muskeln und Bindegewebe, die die inneren Organe stützt und Bewegungen wie das Laufen abfedert. Mit jedem Schritt werden Kräfte durch den Körper weitergeleitet, die auf den Rumpf und insbesondere den Beckenboden wirken. Ein gut trainierter Beckenboden wirkt wie ein natürlicher Stoßdämpfer, der die Wirbelsäule und die Gelenke entlastet und vor Überlastung schützt.
Laufen zählt zu den sogenannten High-Impact-Sportarten. Diese Sportarten umfassen Bewegungen wie Laufen oder Springen, viele Ballsportarten und Sportarten mit hoher Gewichtsbelastung, wie Kraftsport. Im Vergleich zu Low-Impact-Sportarten haben High-Impact-Sportarten ein bis zu fünffach höheres Risiko für Probleme mit dem Beckenboden (De Mattos Lourenco et al., 2018). Beim Laufen steigt der Druck im Bauch plötzlich an, und der Körper erfährt Kräfte, die das 1,6- bis 2,5-fache des Körpergewichts erreichen können (Gottschall & Kram, 2005).
Warum sollten auch Frauen ohne Kinder den Beckenboden trainieren?
Der Beckenboden ist für viele Läuferinnen oft erst nach einer Geburt Thema, wenn die Muskulatur offensichtlich stark beansprucht wurde. Doch auch Frauen ohne Kinder profitieren von einer stabilen Beckenbodenmuskulatur: Sie stärkt die Körpermitte, fördert eine aufrechte Haltung und beugt Inkontinenz vor. Studien zeigen, dass bereits etwa 20 % der Frauen unter 30 gelegentlich an Inkontinenz leiden, was nicht nur beim Sport zu Einschränkungen führen kann, sondern auch im Alltag belastend ist.
In den Wechseljahren kann sich die Beckenbodenmuskulatur durch hormonelle Veränderungen, insbesondere durch den Rückgang des Östrogenspiegels, deutlich schwächen. Östrogen unterstützt die Elastizität und Festigkeit des Bindegewebes und der Muskeln im Beckenbodenbereich. Mit sinkendem Hormonspiegel verlieren diese Gewebe an Stabilität und Spannkraft, was das Risiko für Inkontinenz oder Senkungsprobleme erhöht.
Präventives Beckenbodentraining kann dieses Risiko erheblich senken und sorgt dafür, dass Frauen jeder Altersgruppe eine gute Kontrolle über Blase und Becken behalten. Ein stabiler Beckenboden sorgt außerdem für eine effizientere Lauftechnik, da die Energie optimal weitergeleitet wird.
Auf geht’s: So widmest du dich deinem Beckenboden
Vielleicht habe ich dich inspiriert, dich auch einmal mit deinem Beckenboden zu beschäftigen. Aber wo fängt man an? Keine Sorge – ich empfehle dir diese vier einfachen Schritte:
Check-up bei der Beckenbodenphysiotherapie: Den Ist-Zustand ermitteln: Nach der Schwangerschaft oder bei Beschwerden empfehle ich immer einen Check-up bei einer Beckenbodenphysiotherapeutin. Hierbei wird der Ist-Zustand des Beckenbodens analysiert. Viele Frauen haben Schwierigkeiten, den Beckenboden gezielt wahrzunehmen oder anzusteuern. Ein professioneller Check-up zeigt, ob die Muskulatur zu schwach oder übermäßig angespannt ist - denn auch das kann Beschwerden verursachen. Mit diesem Wissen kann ein individuelles Trainingsprogramm erstellt werden, das gezielt auf die persönlichen Bedürfnisse eingeht.
Studien zeigen, dass Beckenbodenphysiotherapie Symptome von Belastungs- und Dranginkontinenz deutlich lindern kann. Laut Dumoulin et al. (2018) verbesserten Frauen durch strukturiertes Training ihre Muskelkraft und -kontrolle und hatten weniger Inkontinenzfälle als eine Kontrollgruppe.
Meine persönliche Empfehlung: Bist du aus der Region Winterthur, dann empfehle ich dir wärmstens Physio Lokstadt. Für alle anderen Regionen der Schweiz findest du unter www.pelvisuisse.ch sicher eine passende Therapeutin.
Inneres Training: Wahrnehmung und Stärkung mit Beckenbodentrainern: Um den Beckenboden effektiv zu trainieren, ist es wichtig, zuerst ein Gefühl für diesen oft schwer zugänglichen Muskelbereich zu entwickeln. Studien zeigen, dass professionelle Anleitung oder Biofeedback-Geräte die Übungen unterstützen und effektiver machen können. Hagen et al. (2014) fanden heraus, dass Frauen mit Biofeedback oder Physiotherapie eine bessere Muskelkontrolle entwickelten und seltener unter Inkontinenz litten. Solche Geräte helfen, die Muskulatur gezielt zu trainieren – besonders für Anfängerinnen oder Frauen mit Schwierigkeiten, die Muskeln bewusst wahrzunehmen.
Persönliche Empfehlung: Ich habe gute Erfahrungen mit dem Perifit gemacht.
Klassisches Beckenbodentraining: Die Basis für eine starke Muskulatur: Das klassische Beckenbodentraining bildet die Basis eines jeden Trainingsplans für diesen wichtigen Muskelbereich. Im Mittelpunkt steht das bewusste Anspannen und Entspannen der Beckenbodenmuskulatur. Die Übungen sind einfach, alltagstauglich und erfordern keine besondere Ausrüstung. Entscheidend ist jedoch, dass die Anspannung kontrolliert erfolgt, ohne dabei die Bauchmuskeln oder andere umliegende Muskeln unnötig zu belasten. Für eine korrekte Ausführung empfiehlt sich ein Check-up bei der Beckenbodenphysiotherapie.
Viele Menschen führen Beckenbodenübungen ohne Anleitung falsch aus – Studien zufolge haben 30 bis 50 % Schwierigkeiten, die Übungen korrekt durchzuführen (Hinge Health, 2023; Penn Medicine, 2023; Pelvic Exercises, 2023). Fehler wie das Anspannen von Bauch-, Gesäß- oder Oberschenkelmuskeln statt des Beckenbodens können die Wirksamkeit beeinträchtigen oder sogar Muskelverspannungen und eine Verschlechterung der Symptome verursachen. Ein besonders verbreiteter Irrtum ist der Versuch, den Beckenboden zu trainieren, indem man den Urinstrahl unterbricht. Laut Studien, z. B. von Penn Medicine (2023) und Bø et al. (2013), ist diese Methode kontraproduktiv, da sie die richtige Muskelisolierung behindert und langfristig Probleme wie Harnverhalt auslösen kann.
Die korrekte Anspannung erfordert, dass die Muskeln rund um die drei Hauptöffnungen – Harnröhre, Vagina und Anus – gezielt angehoben und angespannt werden. Eine Meta-Analyse von Bø et al. (2017) betont, wie wichtig präzise Anleitungen für die Wirksamkeit des Trainings sind. Bereits drei- bis viermal pro Woche gezieltes Üben kann innerhalb weniger Wochen spürbare Verbesserungen bringen.
Äußeres Krafttraining: Core-Training zur Unterstützung des Beckenbodens: Der Beckenboden ist ein wichtiger Teil des Core-Systems, zu dem auch die Bauch-, Rücken- und Hüftmuskulatur zählen. Mit gezieltem Core-Training lässt sich die gesamte Rumpfmuskulatur stärken, die den Beckenboden unterstützt und für Stabilität im gesamten Körper sorgt. Übungen wie Ball Crunches wirken sich positiv auf die Stabilität der Körpermitte aus und stärken den gesamten Rumpf. Durch die richtige Atemtechnik lässt sich zusätzlich die Spannung im Beckenboden regulieren, sodass die Muskulatur sowohl Stabilität als auch Flexibilität aufbauen kann.
Mehr über den Beckenboden erfahren
Übrigens: Wenn du noch mehr über den Beckenboden und seine Rolle für Läuferinnen erfahren möchtest, empfehle ich dir meinen Guide „Wiedereinstieg ins Laufen nach der Schwangerschaft“, in dem ich das Thema Beckenboden und Core im Detail behandle und hilfreiche Tipps gebe. Dieser Guide hilft dir, den Beckenboden gezielt aufzubauen und optimal in dein Lauftraining zu integrieren, und eignet sich nicht nur für Mamas.
Fazit
Ein starker Beckenboden ist für Läuferinnen eine wertvolle Unterstützung, die die Leistungsfähigkeit steigert und das Verletzungsrisiko reduziert. Der Beckenboden ist jedoch nur ein Teil des Core-Systems – die Kombination aus gezieltem Beckenbodentraining, Kraftübungen für die Körpermitte und einer passenden Atemtechnik sorgt für maximale Stabilität.
Falls du mehr über deinen Beckenboden und seine Bedeutung fürs Training wissen möchtest, biete ich auch individuelles Coaching an. In einem persönlichen Gespräch können wir deine Probleme gezielt analysieren und einen passenden Fahrplan entwickeln, der dir hilft, deine sportlichen Ziele sicher und nachhaltig zu erreichen.
Quellen:
Bø, K., Sherburn, M., Ross, M., & Berghmans, B. (2013). Can pelvic floor muscle training prevent and treat pelvic organ prolapse? Acta Obstetricia et Gynecologica Scandinavica, 92(1), 3-22.
Bø, K., Frawley, H. C., Haylen, B. T., Abramov, Y., Almeida, F. G., Berghmans, B., ... & Thakar, R. (2017). An International Urogynecological Association (IUGA)/International Continence Society (ICS) joint report on the terminology for the conservative management of female pelvic floor dysfunction. Neurourology and Urodynamics, 36(2), 221-244.
De Mattos Lourenco, T. R., Matsuoka, P. K., Baracat, E. C., & Haddad, J. M. (2018). Urinary incontinence in female athletes: a systematic review. International Urogynecology Journal, 29(12), 1757–1763.
Deutsches Ärzteblatt. (2020). Prävalenz und Risikofaktoren für Beckenbodenschwäche bei Frauen. Deutsches Ärzteblatt International, 117(13), 223-231.
Dumoulin, C., Hay-Smith, E. J., Mac Habée-Séguin, G., & Mercier, J. (2018). Pelvic floor muscle training versus no treatment, or inactive control treatments, for urinary incontinence in women. Cochrane Database of Systematic Reviews, (10).
Gottschall, J. S., & Kram, R. (2005). Energy cost and muscular activity required for propulsion during walking. Journal of Applied Physiology, 99(5), 2128-2136.
Hagen, S., et al. (2014). The effectiveness of pelvic floor muscle training with or without biofeedback for women with urinary incontinence: A systematic review. Neurourology and Urodynamics, 33(5), 507–514
Hinge Health. (2023). Common mistakes in pelvic floor training and how to avoid them. Retrieved from https://www.hingehealth.com
Penn Medicine. (2023). Understanding the role of the pelvic floor in women's health. Retrieved from https://www.pennmedicine.org
Pelvic Exercises. (2023). Correct techniques for pelvic floor exercises. Retrieved from https://www.pelvicexercises.com
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